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21. März 2023

Offener Brief: Modernes Straßenverkehrsrecht für alle. Jetzt umsetzen!

Der Bundesverband CarSharing e.V. (bcs) ist Mitunterzeichner des Offenen Briefes "Modernes Straßenverkehrsrecht für alle. Jetzt umsetzen!" an Bundesverkehrsminister Volker Wissing.

Sehr geehrter Herr Bundesminister, sehr geehrter Herr Dr. Volker Wissing,

nach den vielen Gesprächen nicht nur mit Ihnen, sondern auch mit vielen verkehrspolitischen Expert:innen der Regierungsfraktionen, Vertreter:innen der Bundesländer und Kommunen und verschiedenen Rechtsexpert:innen sind wir alarmiert: Sie haben nach über einem Jahr noch immer keinen Referentenentwurf für eine Modernisierung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vorgelegt – obwohl es einen breiten gesellschaftlichen Konsens über den Reformbedarf im Sinne der Mobilitätswende gibt und diverse Rechtsgutachten für eine zeitnahe Umsetzung auf dem Tisch liegen.

Wir fordern Sie deshalb heute auf: Legen Sie umgehend einen Entwurf vor, der das Straßenverkehrsgesetz zu einem Gesetz für alle Verkehrsteilnehmenden macht. Schaffen Sie ein neues, modernes StVG, in dem Klima- und Umweltschutz, die Vision Zero, der Gesundheitsschutz und die Möglichkeiten für städtebauliche Entwicklung in den Kommunen als gleichberechtigte Ziele integriert sind.

Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, in dieser Legislaturperiode das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung (StVO) so zu überarbeiten, dass Länder und Kommunen neben der „Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs“ Entscheidungsspielräume erhalten, damit sie vor Ort Maßnahmen zum Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz ergreifen und Belange der nachhaltigen Stadtentwicklung berücksichtigen können.

Das bedeutet,

  • dass die „Sicherheit und Leichtigkeit“ des Kfz-Verkehrs nicht länger die alleinige übergeordnete Zielsetzung im Straßenverkehrsrecht bleibt,
  • dass kommunale Verwaltungen umweltfreundliche Verkehrsarten gezielt fördern können und nicht erst mit Unfallzahlen eine Gefahr für Leib und Leben nachweisen müssen,
  • dass schwächere Verkehrsteilnehmende wie Kinder, Fußgänger:innen und Radfahrende im Straßenverkehrsrecht nicht länger so behandelt werden, dass sie dem Kfz-Verkehr möglichst nicht in die Quere kommen und ihre Sicherheitsbelange nicht länger hinter die „Flüssigkeit“ des Kfz-Verkehrs zurückgestellt werden,
  • dass Verkehrsbehörden verkehrsbeschränkende Anordnungen zum Schutz von Klima, Umwelt und Gesundheit und zur Unterstützung einer nachhaltigen Stadtentwicklung treffen können.

Die Modernisierung des Straßenverkehrsrechts ist von zentraler Bedeutung für die Erreichung der Klimaziele vor Ort, für die Verbesserung der Verkehrssicherheit und für gesunde, lebenswerte Städte. Kleine praxisgerechte StVO-Änderungen, wie sie die länderoffene Arbeitsgruppe der Verkehrsminister:innenkonferenz (VMK) vorgeschlagen hat, sind gut und richtig, sie ersetzen aber nicht die dringend erforderliche Neuausrichtung im StVG!

Die Bundesländer haben in ihrem Beschluss auf der Sonder-VMK vom 29.11.2022 explizit darauf hingewiesen, dass die “Diskussion um weitergehende Anpassungen des Straßenverkehrsrechts (...) durch diese Vorschläge weder vorweggenommen noch präjudiziert“ wird und das BMDV explizit dazu aufgefordert, „zeitnah einen Reformvorschlag zum StVG und zur StVO gemäß der Vereinbarung vorzulegen“.

Jeder Tag, an dem Sie nicht handeln, hindert die kommunalen Verwaltungen an der zügigen Umsetzung nachhaltiger Mobilitätskonzepte. Eine entsprechende Modernisierung der StVO, ist erst möglich, wenn Sie jetzt wirklich „Fortschritt wagen!“ und im ersten Schritt das übergeordnete Straßenverkehrsgesetz vom reinen Kfz-Gesetz aus Kaiserzeiten zu einem modernen Straßenverkehrsrecht für alle weiterentwickeln. Hier sind Sie, Herr Minister, in der Bringschuld, jetzt die Hemmnisse im Straßenverkehrsrecht anzugehen!

Das StVG und die untergeordnete StVO sind in ihrer jetzigen Form vor allem Gesetze für die Flüssigkeit des individuellen Autoverkehrs, die höher bewertet wird, als die Interessen der übrigen Verkehrsteilnehmenden und eine nachhaltige Stadt- und Verkehrsgestaltung. Das ist nicht mehr zeitgemäß und bedarf dringend einer Reform!
Das StVG muss weg vom reinen Gefahrenabwehrrecht. Sicherheit und Ordnung im Verkehr dürfen nicht preisgegeben werden, aber wir brauchen ein modernes Verständnis von Mobilität und eine Gesetzgebung, die die Menschen und die Interessen des Allgemeinwohls – die Sicherheit aller! – in den Mittelpunkt stellt.

Außerdem benötigen Länder und Kommunen bei der Förderung einer sicheren, gesundheitsfördernden, klima- und umweltfreundlichen Mobilität größtmögliche Unterstützung, damit sie vor Ort die Verkehrssituation ändern und für alle Verkehrsteilnehmenden verbessern können – etwa durch Einrichtung von Zebrastreifen, Busspuren, Radfahrstreifen und verkehrsberuhigten Bereichen. Und das ohne bürokratische Hürden! Bisher dürfen sie dies nur auf Grundlage früherer Verkehrsunfälle und nicht vorbeugend. Oft sind auch aufwändige Verkehrszählungen erforderlich, um etwa Fahrradstraßen einzurichten oder um zu belegen, dass der Busverkehr nicht mehr durchkommt oder Fußgänger:innen nicht sicher die Straße überqueren können.

Gute Straßen sind für alle da! Wir brauchen ein modernes Straßenverkehrsrecht statt „Auto first“. Ein zeitgemäßes StVG muss daher die folgenden Punkte berücksichtigen:

  • Vision Zero: Niemand soll im Verkehr sterben oder schwer verletzt werden. Dafür brauchen wir ein sicheres und fehlerverzeihendes Verkehrssystem, das besonders ungeschützte Verkehrsteilnehmende vor Unfällen bewahrt und nicht auf dem „Recht des Stärkeren“ beruht.
  • Verkehrsrecht für alle: Das StVG muss die Belange aller Verkehrsteilnehmenden berücksichtigen, dazu gehört neben dem Kfz-Verkehr auch ein sicherer Fuß- und Radverkehr sowie ein guter ÖPNV. Weil sich Mobilitätsrate und Verkehrsverhalten lokal unterscheiden, müssen die Menschen vor Ort mit Beteiligungsprozessen aktiv eingebunden werden.
  • Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz: Der Verkehrssektor verfehlt regelmäßig seine Emissionsziele im Klimaschutz. Damit sich das ändert, müssen Kommunen den Umweltverbund gezielt fördern können, nicht nur punktuell zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen, z.B. mit Verkehrsanlagen für Fahrrad und ÖPNV oder einer City-Maut.
  • Nachhaltige städtebauliche Entwicklung: Die Verkehrswende kann nur gelingen, wenn sie städtebaulich nachhaltig begleitet wird. Im Rahmen urbaner Mobilitätsplanung (SUMP) müssen Fuß- und Radverkehr besonders berücksichtigt und gezielt gefördert werden können.

Wir fordern Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass in die Paragrafen 1 und 6 des StVG neue Zwecke und Ermächtigungsgrundlagen aufgenommen werden, die diese Änderungen enthalten.

Wir freuen uns über eine zeitnahe Rückmeldung, in der Sie darlegen, wie Sie die im Koalitionsvertrag vereinbarten Änderungen des StVG umsetzen wollen.

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen,

Namen der Unterzeichner:innen
Rebecca Peters, Bundesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs e.V. (ADFC)

Olaf Bandt, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz e.V. (BUND)

Gunnar Nehrke, Geschäftsführer Bundesverband CarSharing e.V. (bcs)

Katharina Schlüter, Geschäftsführerin bei Changing Cities e.V.

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH)

Florian Schöne, Geschäftsführer des Deutscher Naturschutzrings (DNR)

Paul Bickelbacher, Bundesvorsitzender des Fachverbands Fußverkehr Deutschland (FUSS e.V.)

Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland e.V. (VCD)

Uwe Wöll, Geschäftsführer des Verbundes Service und Fahrrad e.V. (VSF)

Wasilis von Rauch, Geschäftsführer des Bundesverbandes Zukunft Fahrrad

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PDF: Offener Brief "Modernes Straßenverkehrsrecht für alle. Jetzt umsetzen!"